Die Reform der zweiten Phase der Lehrerausbildung

Im Rahmen des Dritten Gesetzes zur Qualitätssicherung in hessischen Schulen veränderten die Bestimmungen des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes (HLbG) und der Verordnung zur Umsetzung des Hessischen Lehrerbildungsgesetztes (HLbG-UVO) die Lehrerausbildung grundlegend. Ebenso wie die Neuerungen bei den Studienordnungen – uns allen sind die Begriffe Bachelor und Master Studiengänge mittlerweile ein Begriff – geht die Reform auf die Bologna-Beschlüsse der EU zurück, deren Ziel eine größere Vereinheitlichung der europäischen universitären und post-universitären Ausbildungen war.

Am 1. August 2005 wurden die ersten jungen Kolleginnen und Kollegen eingestellt, die nach HLbG und UVO ausgebildet werden. Damit wird schon die erste Neuerung deutlich: die Einstellungstermine liegen nunmehr jeweils auf dem Beginn des Schuljahres bzw. des Halbjahres.

Früher wurden Studienreferendare während eines Zeitraums von drei Monaten in die Arbeit an ihren Ausbildungsschulen eingeführt, eine Zeit, in der sie durch drei Fachleiter an ihre Aufgaben als Fachlehrer und als Pädagogen herangeführt, aber auch in ihre Rechte und Pflichten als Beamte des Landes Hessen allgemein und speziell als Lehrer eingewiesen wurden. Daran schlossen sich die durch unterrichtspraktisches Arbeiten, begleitet von Ausbildungsveranstaltungen, geprägten Phasen an, die drei Schulhalbjahre umfaßten. Während dieser Zeit unterrichteten die jungen Kollegen und besuchten regelmäßig Ausbildungsveranstaltungen, überwiegend unter der Leitung der drei Ausbilder, und absolvierten die zur Ausbildung gehörenden Unterrichtsbesuche und Beratungen. Danach folgte die Phase der Examensvorbereitung, in der die Pädagogische Prüfungsarbeit fertig gestellt wurde und die Vorbereitung auf die Lehrproben und das mündliche Examen stattfand. Während dieser letzten Phase waren die Referendare vom eigenverantwortlichen Unterricht freigestellt.

Heute wird die Ausbildung in vier Semester gegliedert (Einführungssemester, 1. und 2. Hauptsemester, Prüfungssemester). Die Ausbildungsveranstaltungen finden in Form von Modulen statt, wobei zwischen Pflicht- und Wahlpflichtmodulen und zwischen bewerteten und unbewerteten unterschieden wird, worin der wohl bedeutendste Unterschied zur bisherigen zweiten Phase der Lehrerbildung besteht. Während nach der alten Ausbildungsverordnung eine Bewertung erst am Ende des Referendariats stattfand, wird jetzt vom Einführungssemester an benotet, besser gesagt bepunktet. Im Einführungssemester haben die jungen Kollegen keinen eigenen Unterricht, wohl aber während des gesamten Prüfungssemesters. Erhaltengeblieben sind ihnen die Unterrichtsbesuche, mindestens zwölf laut UVO, die von den Modulverantwortlichen gemacht werden und die in die Bewertung am Ende des Semesters eingehen. Zusätzlich erhalten die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst (kurz LiV) – so die Bezeichnung, die auch zukünftige Kollegen der anderen Lehrämter umfaßt – ECTS (European Credit Transfer System)-Punkte je nach Umfang des Moduls. Den Umfang der Pädagogischen Ausbildung beschreibt § 40 der UVO zum HLbG wie folgt: „Der Gesamtumfang der Pädagogischen Ausbildung für die Lehrkraft im Vorbereitungsdienst beträgt in 24 Monaten 3600 Zeitstunden. Davon entfallen […] insgesamt 1080 Zeitstunden auf die Module […]. Auf die unterrichtspraktische Ausbildung entfallen 2520 Zeitstunden für Hospitationen, angeleiteten Unterricht, eigenverantwortlichen Unterricht einschließlich Planung und Nachbereitung sowie für schulische Veranstaltungen […].“ (Wer sich für den vollständigen Wortlaut interessiert, dem sei die CD-ROM unseres Verbandes, die den gedruckten Wegweiser abgelöst hat, empfohlen.) Im Einführungssemester sollen die LiV zehn Wochenstunden in Hospitationen und angeleitetem Unterricht ableisten, in den beiden Hauptsemestern je 16 Wochenstunden (davon 10-12 in eigenverantwortlichem Unterricht, der Rest in Form von Hospitationen und/oder angeleitetem Unterricht) und im Prüfungssemester beträgt der Umfang 12 Wochenstunden, davon 6-8 eigenverantwortlich. Nach Ablegen der Prüfung „kann die Lehrkraft im Vorbereitungsdienst bis zu 12 Wochenstunden […] im Unterricht und für Betreuung eingesetzt werden“.

Im 1. Hauptsemester belegt ein Studienreferendar neben seiner Unterrichtsverpflichtung fünf bewertete Module und das nicht bewertete Modul „Beraten, Betreuen, Portfolio“. Zu den bewerteten Modulen gehören Unterrichtsbesuche, die zwar durchaus von den Ausbilder zweier unterschiedlicher bewerteter Module gemeinsam erfolgen können, was aber voraussetzt, daß es diesen zeitlich möglich ist. In jedem Fall bedeutet es, daß die Modulveranstaltungen zu besuchen sind; daß der Umfang gegenüber den früheren zwei Fachseminaren plus ein EG-Seminar gestiegen ist, sieht man auf den ersten Blick. Gestiegen ist auch die Anzahl der Ausbilder, mit denen eine LiV im Laufe ihrer Ausbildung zu tun hat. Ob dies nun ein Vorteil oder eher ein Nachteil ist, sollte man die Betroffenen fragen. Sicher hängt es auch von der individuellen Disposition ab.

Die Inhalte eines großen Teils der Module sind vorgegeben. Die Vorlagen dazu mußten Ausbilder innerhalb von drei nicht zusammenhängenden Arbeitstagen erstellen. Bei einigen Modulen obliegt die thematische Ausgestaltung den Studienseminaren. Was bis heute (Juli 2006) nicht in verbindlicher Form vorliegt, sind Bewertungsmaßstäbe. Die LiV, die im August 2005 ihre Ausbildung begonnen haben, kommen jetzt immerhin in das 2. Hauptsemester und müssen gemäß den rechtlichen Vorgaben die Arbeit an ihrer Prüfungsarbeit beginnen. Sie haben bereits eine ganze Reihe von bewerteten Modulen absolviert und sind auch von den jeweiligen Modulverantwortlichen nach bestem Wissen und Gewissen bewertet worden. Nun ist es sicher nicht immer sinnvoll oder zweckdienlich, nach Reglementierungen zu rufen. Aber ein Rahmen, der eine gewisse Rechtssicherheit und Vergleichbarkeit (sollte das Ablegen der Prüfung mit Prüfern aus anderen als dem Ausbildungsseminar nicht gerade dies gewährleisten?) ermöglicht, ist unverzichtbar. Die Arbeit daran wurde wiederum an die Fachleiter delegiert, die im Frühjahr dieses Jahres immerhin einen Vorschlag für die Bewertung im Einführungssemester vorlegen durften – und das ist auch gleichzeitig der aktuelle (Juli 2006) Stand der Dinge.

Die Frage stellt sich, warum dies erst so spät begonnen wurde und warum trotz der geleisteten Vorarbeit noch nichts vorliegt, obwohl – und die Wiederholung erfolgt an dieser Stelle bewußt – die ersten Studienreferendare immerhin die Hälfte ihrer Ausbildung bereits hinter sich haben? Zum Stellenwert dieser Bewertungen hier einige Informationen aus der § 42 UVO: Die in den bewerteten Modulen erreichten Bewertungen „fließen in die Bewertung des Ausbildungsstandes […] ein.“ Zu den sechs Pflichtmodulen im Bereich „Unterrichten“ – wohl am ehesten mit den fachdidaktischen Seminaren vergleichbar – kommen weitere sechs Pflicht- und Wahlpflichtmodule zu den Bereichen „Erziehen, Beraten, Betreuen“, „Diagnostizieren, Fördern, Beurteilen“, „Schule mitgestalten und entwickeln“ und „Methoden und Medien einsetzen“. Zusätzlich führt die LiV ein Portfolio, in der alle ihre Ausbildung betreffenden Belege und Nachweise dokumentiert werden müssen. Erhalten geblieben ist die Pädagogische Prüfungsarbeit, die auch weiterhin von einem Ausbilder innerhalb eines festgelegten Rahmens betreut und bewertet wird, das zweite Gutachten muß ein Mitglied aus der Prüfungskommission erstellen.

In der Prüfungskommission werden die meisten an der Ausbildung einer LiV Beteiligten nicht vertreten sein, auch ein vom Prüfling gewähltes Prüfungsmitglied gibt es nicht mehr (der HPhV hat durch eine breit angelegte Unterschriftenaktion seinerzeit vehement gegen diese Maßnahme protestiert). Während die Lehrproben und die sich anschließende Erörterung erhalten bleiben, gibt es bei der mündlichen Prüfung eine einschneidende Veränderung. Das Thema wird dem Kandidaten vom Prüfungsausschuß am Prüfungstag schriftlich vorgelegt. In einer 30-minütigen Vorbereitungszeit (unter Aufsicht) darf er sich mit dem Thema befassen und sich Aufzeichnungen machen, die bei der Prüfung verwendet werden dürfen. In einem Vortrag von maximal 15 Minuten muß dann das Ergebnis der „Auseinandersetzung mit der Aufgabe“ (UVO) vorgestellt werden, von dem ausgehend die Prüfungskommission dann in das Prüfungsgespräch eintritt. Interessanterweise sollen gemäß § 48 des HLbG in der mündlichen Prüfung auch schulrechtliche Aspekte geprüft werden, obwohl dieser Bereich durch die vorgegebenen Ausbildungsinhalte nicht abgedeckt wird… (Die mündliche Prüfung geht gemäß § 50, Abs. 2 des HLbG immerhin mit 20% in die Gesamtnote ein.)

Die umfassendste Veränderung auf Seiten der Ausbilderinnen und Ausbilder hat sicher im Bereich der bisherigen EG-Ausbildung (den Älteren unter Ihnen auch als Schulseminar bekannt) stattgefunden. Bildeten diese früher in aller Regel die Studienreferendare an ihrer Schule aus, teilt sich ihre Arbeit nunmehr in den Bereich „Beraten, Betreuen, Portfolio“ (kurz „BBP“) und die unterschiedlichen Module zu allgemeinen pädagogischen Themen in Form von Modulveranstaltungen, an denen die LiV, für die sie im Bereich „BBP“ zuständig sind, jedoch nicht teilnehmen können, damit eine – durchaus sinnvolle – Trennung der bewerteten von den nichtbewerteten Ausbildungsveranstaltungen sicher gestellt ist.

Aber auch für die Fachdidaktiker sind die Veränderungen bedeutend. Vermittelten sie früher in integrierender Form Inhalte, die zur Bewältigung der Aufgaben eines Fachlehrers befähigen, wie Fragen des sinnvollen Medien- oder Methodeneinsatzes oder der Konzeption, Korrektur und Bewertung von Lernerfolgskontrollen, so gibt es für diese Bereiche nunmehr gesonderte Module. Daß fachspezifische Fragen dennoch im Rahmen der fachdidaktischen Module Thema sein müssen, liegt auf der Hand und entspricht auch den inhaltlichen Vorgaben der Modulbeschreibungen. Dennoch sehen Fachdidaktiker sich vor die Aufgabe gestellt, Module zu den genannten Themen einerseits fächerübergreifend sinnvoll zu gestalten, andererseits aber auch spezifisch genug, um praxisorientiert zu sein. Außerdem sollen natürlich unnötige Dopplungen mit den fachdidaktischen Modulen vermieden werden. Nicht zuletzt kommen auch auf die Schulleiter Ausbildungsaufgaben zu, verweist doch der Titel des Moduls „Schule mitgestalten und entwickeln“ auf originäre Aufgaben dieses Personenkreises.

Die anstehenden seminarinternen Aufgaben, zu denen für viele Fachleiter noch die ganztägigen Modulkonferenzen im AfL (bisher zweimal im Halbjahr) kommen, müssen – wie leider nicht anders zu erwarten war – geleistet werden, ohne daß dafür eine angemessene Entlastung erfolgt. Im Gegenteil: die bisherige Entlastungsregelung wurde nach dem nunmehr hinlänglich bewährten Prinzip der Auskömmlichkeit an die finanzpolitischen Vorgaben angepaßt.

Das Ziel der Reform war – abgesehen von der Harmonisierung innerhalb der EU – eine Verbesserung der Ausbildung. Dies wurde durch die Einbettung in das Dritte Gesetz zur Qualitätssicherung in hessischen Schulen schon formal deutlich gemacht. Ob jedoch die Segmentierung und Fragmentarisierung in der Ausbildung der Studienreferendaren dazu geeignet sind, besser als bisher zu befähigen, die komplexe Gesamtleistung, die eine Lehrkraft im Schuldienst gemäß dem hessischen Schulgesetz nun einmal erbringen soll, zu bewältigen, erscheint vielen Ausbildern fraglich; und ob die kleinschrittige Benotung einzelner Teilkompetenzen nach jedem Ausbildungssemester dazu beiträgt, die Grundlagen zur Heranbildung einer souveränen, eigenständigen Lehrerpersönlichkeit zu legen, ebenfalls.